Eine Episode aus meinem neuen Roman
Gelernt ist gelernt.
An einem herrlich warmen Sommertag des Jahres 2019 gibt es einen Mann in Berlin, der anderen Menschen tatsächlich seinen Willen aufzwingen will. Und weil das nie wirklich einfach ist, hat sich dieser alte Kerl dafür ein automatisches Gewehr besorgt. Das ist so ein kleines Ding bei ihm, das gerade in eine Hand reinpasst. Sieht wie ein Spielzeug aus, hat aber eine Durchschlagskraft, die will man nicht an sich selbst erleben. Und genau so wollte unser Held die Knarre haben, damit er sie in seinem Stoffbeutel transportieren kann, in so einem wie aus dem Supermarkt, kennt jeder, für einen Euro, aus Baumwolle, natürlich. Unser Ganove ist kein Verschwender. Weder an Zeit noch an nachhaltigen Naturstoffen. Er hasst Plastik fast noch mehr als jene zwei Menschen, die ihn gemacht haben. Was schwer erreichbar ist. Er hasst diese Frau und diesen Mann, die andere Menschen auch als Eltern bezeichnen, weil sie ihn überhaupt gezeugt und auf die Welt haben kommen lassen. Doch das nur nebenbei.
Denn uns treibt hier die Frage um, warum dieser arme Teufel gerade mit der Uzi tun will, was er gerade damit tun will? Er will die Sparkasse an der Prenzlauer Allee Ecke Danziger Straße überfallen. Er will dabei die Menschen darin als Geiseln nehmen. Und er will warten, bis die Bullen da sind, sein Spiel als gefährlicher Geiselnehmer noch eine Weile treiben, sich dann aber einsacken und einsperren lassen. Doch, warum nur? Er ist doch gerade erst aus dem Knast rausgekommen? Gelernt ist gelernt?
Fragen wir ihn:
„Also, Butze, du alter Paraver, was hast du vor? Wenn das schief geht, lochen die dich wieder ein! Und dieses Mal für immer! Bei der Anzahl und Schwere deiner bisherigen, strafrechtlich verurteilten Vorstraftaten und noch dazu in deinem fortgeschrittenen Alter kommst du um lebenslange Haft für dein restliches Leben nicht mehr drum herum.“
„Mir egal.“
Er brummt das vor sich hin wie ein alter Bär, der genau weiß, was er will, dafür aber seine absolute Ruhe einfordert, ohne einen Widerspruch zu dulden. Deshalb fügt er mit kräftiger und kompromissloser Stimme noch hinzu:
„Wer sein scheiß Leben nich lebt, wie er will, der lebt doch nur, wie er leben soll; aber det is doch keen Leben für mich, wenn icke leben soll, wie ein anderer det will; det is doch reine Scheiße. Ick lebe, wie ick will. Basta. Ende. Schnauze.“
Okay, sagen wir uns, besser, ihn tun zu lassen, was er tun will. Sonst holt der noch die Uzi aus dem Beutel raus und probiert an uns, ob die auch funktioniert.
Doch vor drei Wochen war das noch anders. Da stand er in der Seidelstraße in Tegel und sah das erste Mal nach 13 Jahren die Sonne wieder von außerhalb der JVA. Sie sah zwar genauso aus wie vom Hof aus, wenn er Hofgang hatte, aber die Luft roch anders. Wie Freiheit.
„Wie riecht denn freie Luft?“
„Keene Ahnung, du Klugscheißer, auf jeden Fall anders als mit Einschluss.“
Und wir haben ihn an diesem Tag auch noch gefragt:
„Und, lieber Bernd Uhlig, was machst du nun? Vernünftig sein? Endlich mit fast 65 Jahren?“
„Vernünftig?“
Schon da hat er gebrummt wie ein Bär, der keinen Widerspruch duldet.
„Keene Ahnung, wat det is. Abar ick lebe, wie ick will, klar! Un det mach icke schon, solange icke schon da bin. Ihr könnt mir ma alle am Allerwertesten. Basta. Ende. Schnauze.“
Nun, das scheint ehrenvoll, dass einer sein Leben leben will, wie er das will, und nicht, wie ein anderer das vom ihm verlangt. Aber die Frage, wie einer sein Leben leben sollte, stellt sich ja schon, wenn einer noch ein Baby ist. Der verdammte Mist aber daran ist, dass einer da noch zu jung dafür ist, allein für sich selbst zu entscheiden, wie er leben will. Da sind nämlich die Menschen, die einen gemacht haben. Die wollen einem auch Jahr für Jahr einreden, wie einer zu leben hat. Nicht so, wie einer will, sondern so, wie sie wollen, dass einer zu leben hat. Und die Menschen, die einen gemacht haben, tun dann so, als wäre das immer das Beste für einen, wenn er lebt, wie er soll. Wenn sie überhaupt etwas für einen tun. Für unsern Butze haben sie so was gemacht, also nichts für ihn zu tun. So war das von Anfang an. Der lernte nicht nur, früh zu laufen, sondern auch früh auf eigenen Beinen zu stehen und zu gehen. Deshalb war der alte Paraver immer nur glücklich, wenn er lebte, wie er wollte, nie, wenn er lebte, wie er sollte. Das nennen wir auch das perfekte Abitur für den Beginn der Berufsausbildung zum Knacki, oder?
Und früh schon hat unser Butze das erkannt, dass er seine Freiheit und seinen Willen mehr liebte als alles andere. Da war der Kerl, der ihn mit einer Frau gemacht hat. Der schlug dieser Frau eines schönen Morgens am Kaffeetisch eins in die Fresse. Da war unser Bernd schon 13 und konnte nicht anders. Da hat es ihm gereicht. Der Kerl hat das nicht zum ersten Mal gemacht. Der hat schon ein paar Mal diese Frau verdroschen, die unsern alten Paraver auf die Welt gebracht hat. Nun aber war der Kanal voll. Das Fass war übergelaufen. Und Butze, mit seine 13 Lenze und kleiner als der Alte, ist aufgestanden und hat dem Alten auch ein paar geknallt. Voll auf die Zwölf. Das konnte Butze schon. Das hatte er da schon an anderen Gesichtern trainiert gehabt.
Und der Alte glotzte, als wäre er gerade aus dem Koma gesprungen und hätte die Welt noch nie gesehen, und schlug natürlich zurück. Und wie. Butze musste ins Krankenhaus gebracht werden und lag ne ganze Weile, weil die Rippen und der Kiefer erst zusammengeschraubt werden und dann wieder zusammenwachsen mussten. Aber er hat das überlebt. Er hat nur eine kleine Delle in seinem Stirnknochen zurückbehalten. Wie ne kleine Mulde oder Kuhle auf der Stirn sieht die aus. Da mussten sie ihm etwas Knochen rauslassen, konnten sie damals nicht ersetzen, war nun sein Markenzeichen, die Delle auf der Stirn. Die aber sah er immer im Spiegel und die erinnerte ihn an die Erkenntnis, die er damals als kleiner Piepel im Krankenhaus hatte wie eine Einleuchtung oder Vergebung oder, nein, wie eine Eingebung als Erleuchtung. Denn das war die zu jenem Satz in unserer Geschichte, den wir von Butze schon gehört haben. Und seitdem lebt er, wie er will, nicht, wie er soll. Und nicht anders.
Und zusätzlich sind da noch diese verfickten Staatsidioten. Die wollen auch aus einem machen, von klein auf, was für den verdammten Staat gut ist. Da muss sich einer auch gegen wehren, um nicht in der Verblödung zu leben, als wäre einer schon tot, obwohl einer noch atmet. Das hieß für Butze, dass seine Freiheit dort begann, wo er den Mund aufmachte, um Nein zu sagen. Erst bei den Alten, die ihn gemacht haben, dann in der Schule, und später auch bei den Bullen, ist doch klar. Scheiß auf den Knast. Hauptsachen mein Wille ist frei.
Allerdings und nicht zu vergessen und nicht als Letztes zum Schluss, sondern für die Pointe, gibt es noch die gefahrvollsten Menschen für einen Kerl, ihn an einem Leben zu hindern, wie er das leben will. Das sind die verdammten Weiber. Und auch da hatte unser alter Bernd Uhlig seine Erfahrungen. Seine einschlägigen Erfahrungen sogar. Mehr als genug.
Das alles aber, was er so erfahren hat, das hat ihn zu dieser Weisheit gebracht, dass es wertvoller und angenehmer ist, so zu leben, wie er leben will. Denn nichts ist es wert, so zu leben, wie einer soll. Da wird einer verhunzt. Da wird aus einem ein dressierter Affe in Menschengestalt gemacht. Und das wollte unser Butze nicht. Und weil sein Wille zur persönlichen Freiheit ein überaus starker ist, war er auch über die Hälfte seines bisherigen Lebens im Knast. Erst im Osten. Und dann im Westen. Weil es ja überall Menschen und Staatssysteme gibt, die einen eben nicht immer so leben lassen wollen, wie einer sich das vorstellt. Da eckt einer auch mal an. Da kann einer auch mal gehörig eingepackt und eingesackt werden. Entweder mit der Faust im Gesicht oder einem Knüppel auf dem Wanst eines andern oder im Jugendwerkhof im Osten wegen kleiner Scheckvergehen oder wegen geklauter Sachen oder wegen einer kleinen Keilerei oder im richtigen Knast in Bautzen wegen Abwehr von einigen Genossen Volkspolizisten, die unsern Butze mal eintüten wollten nach einer Schlägerei um geklaute Ware, doch er wollte sich von den Genossen nicht eintüten lassen. Oder bis hin nach Tegel jetzt im Westen haben sie ihn verfrachtet wegen vieler ähnlicher sogenannter strafrechtlicher Vergehen wie Betrug, Hehlerei und grobe Körperverletzungen. Oder, wie bei unserm alten Paraver für die letzten 13 Jahre, waren da auch mal ein paar Drogengeschichten mit dabei. Wegen der Effektivität, was später an Kohle für einen übrig bleibt. Und wenn er nicht verraten worden wäre, hätte er die letzten 13 Jahre draußen gut leben können.
Aber Beruf ist nun mal Beruf. Gelernt ist gelernt. Profi ist und bleibt Profi. Denn wofür lebt einer, bis er stirbt? Für seine Freiheit, wofür sonst.
Warum sich hier auf diesem herrlichen Planeten durch ein Leben quälen, das einer nicht will? Das wäre ja dumm, weil am Ende nichts bliebe, woran man sich vorm Tod mit Glück erinnern könnte. Das wäre ja die pure Verschwendung von Möglichkeiten, glücklich zu sein und nicht nur zufrieden. Das wäre also ein absolut ungelebtes Leben.
Nee, nicht mit unserm alten Bernd Uhlig. Da quält er sich lieber durch die Tage, wie er sich quälen will. Auch wenn er dafür mittlerweile mehr saufen muss, als der Teufel selbst verträgt. Und einen Magendurchbruch deshalb hat er schon überlebt. Schon 20 Jahre ist das her, als ein Chirurg ihm sagte, dass er seine Bauchschmerzen nicht wegen des Streits mit der Ollen hatte, die damals bei ihm wohnte und ihn beklaute und ihm den Schnaps unbezahlt wegsoff, nein, er hatte seine scheiß Bauchschmerzen, weil in seinem Magen ein kleines Loch aufgebrochen sei durch ein Geschwür, dass er nun wahrscheinlich doch wegen der Streitereien mit dieser Ollen damals hatte. Na gut, hatte Bernd gesagt, dann legt mich flach und macht mich betäubt und näht das Fass wieder zu und dann mich auch wieder, damit ich sie rausschmeißen und in Ruhe allein weitersaufen kann. Und so ist der alte Paraver damals wiedermal dem Teufel von der Schippe gesprungen.
Und die Gefangenenanlagen, in denen er auch sein Leben ne Zeit lang verbrachte, waren nur Stationen auf dem Weg zu ihm, dachte er. Denn wenn er so lebte, wie er wollte, musste er sich selbst ja perfekt kennen. So glaubte er, sich selbst wirklich zu kennen. Aber das ist so ein Ding mit der Gewissheit seines Selbst. Woher will ich mit Sicherheit wissen, dass ich das auch bin, was ich glaube zu sein? Ganz schön viel, was die verdammte Realität von einem verlangt. Einer soll wissen, wer er ist, darf sich aber dessen nie sicher sein. Und das nur, damit er lebt, wie er will. Weil er nur tatsächlich wissen kann, was er wirklich will, wenn er gleichzeitig weiß, wer er ist, oder?
Butze also war bald klargeworden, dass wirkliche Freiheit auch einiges an Lebenszeit und Erfahrung kostet. Das war so sicher wie sein täglicher Durst auf Sternburger Export und Kräuterschnaps. Aber diese Freiheit fühlte sich auch so geil an, dass sie alle Zeit wert war.
Allerdings, und dieser Gedanke kam ihm in letzter Zeit häufiger, fehlte ihm was. Er wusste noch nicht genau, was es war. Aber als er vor drei Wochen wieder das Staatshotel in Tegel verlassen musste in Richtung Pankow, stand er kaum draußen vor der Tür jener JVA auf der Seidelstraße und fühlte zwar erst die sogenannte Freiheit, aber kurz darauf auch, dass ihm was fehlte. Was konnte das nur sein? Der Mut zu dem, was nach 13 Jahren aus Berlin geworden war? Oder dass er sich nun wieder allein um sich selbst kümmern musste? Dass also die Regeln im Knast ihm fehlen würden? Oder die Freunde darin? Seine wirklichen Freunde? Die seine Familie geworden sind? Wo war er wirklich zuhause?
Heimat ist doch dort, wo der Mensch von andern Menschen verstanden, respektiert und geliebt wird, weil er so ist, wie er ist, also so lebt, wie er lebt, oder? Also wo wirkliche Freundschaft ist, oder?
Butze war sich da noch uneins und verdrängte dieses unangenehme Gefühl aus Verlust und Unsicherheit erst mal mit nem Viererpack kleiner Pullen Hubertuskräuterlikör und 3 Flaschen Sternburger Export. Das waren die besten Schmerztabletten, die er kannte. Und ohne Rezept zu kriegen in einem Supermarkt da um die Ecke der JVA. Da brauchte er zu keinem Arzt zu gehen und dem was von krank oder so vorzumachen. Da reichten ein paar Euros in der Tasche. Und die hatte er mit auf den Weg in die neue Freiheit bekommen.
Und saufen musste er auch, weil die Welt hier draußen sich so verändert hatte, dass es ihm schwerfiel, sich wie zuhause zu fühlen. Vor allem auf den Straßen in Pankow. Da war seine letzte Wohnung. Und da wollte er erst einmal hin. Er wollte sehen, ob er da noch wohnte. Wohin sollte er sonst? Die vom Knast haben ihm die Adresse von nem christlichen Wohnheim gegeben. In der Berliner Straße, da in Pankow. Aber da wollte Butze nicht hin. Lieber frei und saufen und dann mal sehen, was so auf ihn zukommt.
Und da stieg er am Pankower Bahnhof aus der S-Bahn vor drei Wochen und ging die Stufen runter und dann nach links und raus auf die Florastraße am Garbátyplatz und stand das erste Mal wie geschockt und erstarrt.
Wie sieht denn mein verdammtes Pankow aus! Und das zur Begrüßung! Was haben die aus meinem alten scheiß verfickten Garbátyplatz gemacht! Was sollte diese dunkelgraue Depression aus Beton direkt gegenüber bedeuten? Etwa – Reisender, der du kommst an diesen Ort, troll dich schleunigst wieder, denn hier erwartet dich nichts wirklich Erbauliches, sondern nur Ernüchterung und die Niederkunft deines Geistes in die wahre Gosse aus Alkohol und Drogen und Prostitution aus kaltem grauem Beton in wahrem Elend, kurz dich erwartet nur das moderne Pankow! Aller Götter Narretei und Gier und Fresslust auf Menschenfleisch erwartet dich hier, nichts sonst. Also hau ab, wenn dir dein letztes bisschen scheiß Leben lieb ist.
Doch Butze zwang sich zur Ruhe.
Großer, du warst jetzt 13 Jahre im Knast, da kann sich draußen was verändern. Insgesamt warst du über 30 Jahre im Knast, wer zählt da noch mit, und hast alles überlebt, was es zu überleben gab. Dann schaffst du auch dieses verdreckte verfickte versauerte und depressive Pankow.
Und er ging weiter vor zur S-Bahn Brücke und dabei quer über den Damm nach links, weil er zur Berliner Straße wollte. Aber was er auf diesen 50 Metern schon erlebte, war der Stress der modernen Stadt pur und für einen alten Knacki ein gewaltiges Erfahrungserlebnis. Da rammelten die Blechkarren auf der Straße gegen die Pedalritter und die gegen die Blechkarren zurück. Dazwischen sprangen die Fußgänger hin und her, schüttelten mit den Köpfen und kämpften weiter darum, heile an Leib und Extremitäten auf die andere Straßenseite zu kommen. Der Bernd hätte natürlich zum beampelten Fußgängerüberweg gehen können, um gefahrlos über die Straße zu gehen. Aber Regeln sind dafür da, um sie zu ignorieren. Was auch viele andere Menschen taten. Und für unsern Bernd Uhlig, den halbbeglatzten Pykniker in frischer Freiheit, gehörten Radfahrer auch zu dieser Gruppe. Denn kaum war er über die Flora lebend gekommen, da rauschte so ein Kollege auf seinem Rad an ihm vorbei und eckte ihn auch an und das auf dem Gehweg. Und Butze stand wieder wie eine Säule, starrte den Typen an und wusste nicht, ob er was sagen sollte. Das aber übernahm der Typ auf dem Rad und verlangte von ihm, dass er sich tatsächlich entschuldigen solle, ihm nicht Platz gemacht zu haben, auf dem Gehweg, das stelle sich einer vor, auf dem Gehweg als Fußgänger einem Radfahrer nicht Platz gemacht zu haben.
„Aus dem Weg, du blöde Sau!“, hatte der Kerl auf dem Zweirad gebrüllt. „Ich habe doch geklingelt!“
Frechheit, hat sich der Bernd gedacht – ich habe doch geklingelt – wie hört sich das denn an! Da ist unser Butze sofort ab wie eine Rakete, um den Rowdy am Schlafittchen zu packen. Aber der Kerl hat noch nie so tief in die Pedale getreten wie in den folgenden Sekunden. Der ist schneller weg und vorne um die Ecke gewesen, als ein betagter Knastbruder mit zwei drei Hühneraugen rennen kann.
Doch das war noch nicht alles an Überraschungen an jenem Tag. Der Uhlig ist erst mal weiter in Richtung seiner alten Hütte gegangen, vorne nach links auf die Berliner in Richtung Breite Straße und kam aus dem Kopfschütteln nicht raus. Überall neue Häuser gebaut. Und überall so viele andere Menschen.
Was sind denn das für Leute hier? Machen die hier alle Urlaub, oder was? Was ist denn mit meinem Pankow los? Vor allem – in welcher Sprache reden die miteinander? Was ist das denn für ein Kauderwelsch? Verstehen die sich überhaupt?
Ihm blieb nichts übrig, als sich in einem Späti schnell zwei Sternburger Export und zwei kleine Hubertuskräuter zu kaufen und die auch gleich auf Ex zu saufen. Und über den Preis, den der junge Kerl da drinnen aufgerufen hat, wunderte sich Butze nicht. Wird ja alles teurer, mit der Zeit. Wie die Zeit selbst ja auch.
So gestärkt und weniger anfällig für Verwunderungen, ging er weiter die Berliner bis zur Breiten Straße vor und dort darüber, hier aber nach der Ampelpflicht, das war ihm sicherer, und weiter ging er noch nach links und dann nach rechts in die Ossietzky rein und Richtung Schlosspark.
Nach weiteren knappen 100 Metern in der Ossietzky blieb er stehen. Und zum dritten Mal wie angewurzelt. Denn das Haus, in dem er mal gewohnt hatte, war nicht mehr da. Butze traute seinen Augen nicht. Denn dort, wo das Haus mal stand, in dem er mal gewohnt hatte, stand jetzt ein anderes Haus; ein neues Haus. Zumindest sah es aus wie frisch gebaut und hatte sicher keine Wohnung für unsern Bernd. Denn auf keinem Briefkasten stand sein Name.
Da ist einer mal im Knast für ein paar Jahre, sagte er zu sich, da ist hier draußen alles gleich ganz anders. Die haben doch alle nen Knall, die Leute. Warum tun die das? Warum machen die immer alles neu? Und anders? Sie wollen doch nur wohnen?
Und er wusste nun einen Teil von dem, was er vermisste, als er am Morgen vor der JVA stand mit dem Gesicht zu Berlin. Die Sicherheit, ein Dach über dem Kopf zu haben.
Okay, hat er gedacht, hier gehör ick sowieso nich mehr hin, ihr alten Paraver. Ihr könnt mir alle mal am Arsch lecken, aber gleich nach dem Scheißen und bevor ich fürs Abwischen noch Papier missbrauche, jawohl!
Bei einem ehemaligen Kumpel, der sich auch als aktueller gleich entpuppte, war er dann vorerst untergekommen. Der wohnte in der Heynstraße, hatte sich in einem zweiten Hinterhof Parterre, in der dunkelsten bewohnbaren Ecke dieses Stadtbezirks überhaupt, verschanzt in einer kleinen Einraumwohnung ohne Küche, aber mit Dusche und separat ein Klosett mit Fenster, und hatte dort allen Widrigkeiten der Modernisierung erfolgreich getrotzt. Natürlich hat er den Bernd erkannt, als der arme Kerl vor seiner Türe stand, sofort eine Kiste Sternburg Bier Export unterm Bett hervorgeholt und ne große Flasche Hubertuskräuter dazu und den alten Butze zum Saufen eingeladen. Macht doch jeder. So ein kleines Fest zum Wiedersehen. Und Bernd hat ganz fleißig ein paar Bier gekippt und ebenso fleißig auf die geldgeile Welt geschimpft. „Dit sin doch allet Schweinehunde.“ Butze war auf Hundertachtzig und sprach schon recht feucht. „Uns unbescholtne Bürger schmeißense für jeden Fliegenschiss innen Bau, aba machen eenfach een Haus kaputt un bauen een neues un dürfen das, ohne Probleme zu kriegen wegen der Frechheit, einem einfach die Bude abzureißen!“ „Jenau. Die stecken alle unter eener Decke.“ „Un zählen da ihre Scheine, wie wir, weest`e noch? Als kleene Piepels? Wie wa uns die Pornos da unter der Bettdecke anjekiekt hahm? So machen die ditte mit ihre Kohle offn Konto irjendwo zwischen die Seichellen un de Malediewen. Die sin alle gleich, allet korrupte Hosenscheißer. In een Sack damit un druff mitt`em Knüppel un du triffst immer den Richtchen“ „Jenau. Allet kleene Pornokieker.“ Aber da ist der Bernd ganz nah an seinen Kumpel Klaus rangerutscht, weil ihm ein toller Gedanke gekommen ist. „Ick verspresch dir, Keule, ick hol mir watt vom Kuchen, un dit noch die näschsten Wochen oder gar Tache.“ „Wie denn, Bernd, willste det Tschobzenter inne Luft schießen?“ „Nee, meen Großer, ick mach da doch den armen Hartz-vier-Paravern nich ihrn Arbeitgeber kaputt. Ick bin doch en Profi, Altar, ick überfall ne rischtische Geldquelle. Ick brauch nur ne Wumme, dann hol ick mir meene Wohnung zurück.“
So sprach der über 60 jährige Paraver Bernd Uhlig mit über 30 Jahren Knast als Erfahrung in sich bei seinem Kumpel Klaus, schon betrunken beide vom Sternburger Exportschlager und Kräuter mit Hubertusalkoholgehalt im zweistelligen Bereich, und sie strotzten vor Kraft, denn was kostet die Welt! Ein paar starke Sprüche und Bier und Kräuter und ein Dach über dem Kopf.
Das ist nun drei Wochen her. In der Zwischenzeit ist der Sommer 2019 in Berlin schon ganz schön reif geworden. Die Hitze drückt den letzten Rest Sternburg aus dem Leib, doch Butze hat immer noch keine Bude. Aber er kann bei seinem Kumpel Klaus wohnen, weil der sich verpisst hat zu ner Freundin nach Rostock. Von dort schickt der immer Bilder vom Strand, wenn die beiden da im Sand saufen und knutschen und sich wohlfühlen. Zumindest tun die so.
Und so hat jeder was davon. Butze braucht noch keine Bank zu überfallen. Und Klaus friert auch nachts nicht mehr allein in seinem Bett.
Obwohl. Das mit dem Überfall von einer Sparkasse hat sich festgesetzt in Butzes Schädel. Denn was er hier so erlebt hat in Pankow, während er wieder da ist und unterwegs war, so von Bar zu Bar und von Kneipe zu Kneipe, das gibt ihm kein Gefühl von Wohlergehen. Schon gar nicht von einem Zuhause. Doch das braucht ein Mann doch, und vor allem ein Mann in Butzes Alter braucht das Gefühl, zuhause zu sein, angekommen, sicher und ruhig sterben zu können, oder?
Hatte der Bernd Uhlig nicht. Nicht mehr in seinem Pankow.
Und der Abend vor zwei Tagen hatte ihm den Rest gegeben. Der muss erzählt werden, um das zu verstehen, was unser alter Paraver mit der Uzi heute noch anstellen will.
Die Bar, an deren Tresen Butze an diesem Abend vor zwei Tagen also stand, war nicht am alten Garbátyplatz, aber auch an der Berliner Straße. Die war auf der andern Seite der S-Bahn-Brücke, direkt an der Kreuzung zur Granitz. Und eine Bar heutzutage zu beschreiben, lohnt kaum noch. Die sind doch alle gleich, wie die Menschen darin auch, sehen nur jede und jeder etwas anders aus. Da war ein Tresen mit ein paar Hockern, um im Stehen oder Sitzen was zu trinken. Dann waren da Tische und Bänke, ja, Bänke, weil die moderne Bar im sogenannten amerikanischen Stil gemacht worden ist, ohne Stühle an den Tischen wie in alten Kneipen, sondern mit Bänken, wo zwei oder drei oder mehr Menschen auf einmal drauf sitzen und sich auch noch berühren konnten mit den Flanken beim Saufen. Und überall war buntes Licht und laute Musik.
Also so ungefähr war diese Bar auch, mit Namen OLYMP, muss gesagt sein, da diese Bar in unseren Episoden hier noch eine wichtige Rolle spielen wird. Dieses Mal eine für unsern alten Bernd Uhlig.
Der stand also am Tresen und bestellte gerade noch ein Pilsener und einen Kräuter bei der kleinen Hübschen dahinter und blickte sich beim Jungvolk in der Bar um, das an den Tischen saß und soff oder am Dartautomaten stand und Pfeile warf und soff oder an den zwei Spielautomaten saß und Kohle verlor und soff oder mal zum Klo ging und pisste und Nasenpulver zog und wieder in die Bar zum Saufen kam, wobei es nun vor sich hin grinste wie alte Paraver mit Mustopfgesicht und weißer Nasenspitze, während es weißen Rotz hochzog.
Also war alles an diesem Abend vor zwei Tagen wie ganz normal. Und für unsern alten Paraver war das seit drei Wochen, seit er wieder in Pankow war, jeden Abend so ganz wie normal. Weil er jeden Tag saufen war, wenn er sich aus der Bude seines Freundes rausschleppen konnte. Und er war mit seinem neuen Freund unterwegs. Einem Fahrrad. Das hieß auch Klaus, weil unser Butze das auch vom Klaus bekommen hatte. Und sein neuer Freund brachte ihn immer hin zum Saufen und zurück. Der Bernd kam immer heile an. Egal in welche Richtung er den Klaus benutzte. Und egal wie besoffen er war.
Da hatte seine neue Freiheit eine feste Größe. Das Fahrrad. Und damit einen neuen wahren Freund. Das Fahrrad namens Klaus.
Aber an diesem Abend, im OLYMP, da war doch noch etwas anders, obwohl an sich alles wie immer schien. Und Butze wusste noch nicht, was und warum da was anders war als sonst. War er noch nicht besoffen genug? Das hatte er gedacht und sich noch ein Bier bei der kleinen Hübschen da hinterm Tresen bestellt und einen Kräuter noch dazu. Er zahlte auch gleich, wie die kleine Hübsche da das wollte, um sicher zu gehen, dass der Butze nicht besoffen abhaute, ohne zu zahlen. Aber das war auch wie immer. Und der alte Paraver zahlte Bier und Schnaps und nahm die beiden Sachen und setzte sich in die Ecke an den einzigen noch freien Tisch von fünfen in der Bar.
Er trank vom Bier und trank den Schnaps und fragte sich – geht’s besser? Nee, da war immer noch so ein komisches Gefühl in ihm, dass heute Abend hier was anders war. Doch alles schien noch immer wie gehabt. Junge Menschen waren da, noch nicht ganz besoffen, aber gut gezogen hatten sie schon. Sie saßen an den Tischen oder waren am Dartspielen oder am Kohleverlieren an den Geldautomaten.
Butze dachte an seinen Tag zurück, ob da was gewesen war, was ihn jetzt so was Komisches fühlen ließ wie, dass was anders war als sonst. War an diesem Tag was anders gewesen?
Er war zum Mittag aufgewacht, war pissen gegangen, hatte sich zwei Sternburg Export aus dem Kasten gezogen, hatte die aufgemacht und fast auf ex, also in wenigen Minuten einlaufen lassen und sich wieder hingelegt und war auch wieder eingepennt. Wie seit Tagen auch. Dann war er zu 15 Uhr wieder aufgewacht, weil er wieder pissen und noch mehr musste, hatte das auch getan und mal aus dem Fenster geschielt und den blauen Himmel gesehen. Also musste draußen wieder einer dieser herrlich warmen Sommertage sein mit viel Sonne wie seit Tagen schon. Da hat unser Freund sich Wasser über Gesicht und Bauch geworfen, sich die Zähne geputzt, sich gesalbt und gepudert und was angezogen und etwas Wurst und Brot zum Frühstück genommen und zwei Sternburg Export als Kaffee dazu. Und fühlte sich wie die letzten Tage auch. Gut gestärkt und ausgeschlafen und bereit für die Tour zum S-Bahnhof. Da war er auf den Hinterhof und hatte den Klaus zur Hand genommen und ihn auf die Heynstraße rausgeschoben und sich draufgesetzt und war in Richtung seines Ziels nach vorn zur Flora gefahren und auf der nach rechts zur Mühlenstraße. Wie jeden Tag auch. Und die Sonne schien und die Blechkarren fuhren und ein paar Menschen gingen auf den Wegen. Wie immer. Und am Späti neben dem OLYMP, zu dem er immer als erstes fuhr, weil er den Chef des Ladens sehr gut kannte und dem auch was Umsatz abgeben wollte, hatte er den Klaus abgestellt, war hineingegangen und hatte den Tag mit Bier und Kräuterschnaps so richtig begonnen. Da saßen dann auch davor auf der Terrasse ein paar alte Kollegen, mit denen er Karten spielte und natürlich 5 Euro mal gewann und mal verlor. Wie immer die Tage. Als es aber gegen 20 Uhr für die alten Kumpels schon zu spät war vorm Späti und die nachhause mussten, weil sie zu besoffen waren zum Weiterspielen und Weitersaufen, war Butze nach nebenan in die Bar gegangen, hatte sich an den Tresen gestellt und bei der kleinen Hübschen da dahinter sein erstes Gedeck zu sich genommen. Bis dahin war auch noch alles normal. Aber dann, dann wurde es komisch. Es begann mit den ersten jungen Menschen, die in die Bar kamen und den Abend dort verbringen wollten. Die waren alle so zwischen 18 und 40 Jahren alt, glaubte Butze. Obwohl er sich bei den 18 auch irren konnte wie bei den 40 auch. Aber die begannen wie immer zu saufen und zu zocken und hatten dabei ihre Musik auf dem großen Bildschirm an, der an der Wand hing für alle sichtbar und wo man den Leuten, die da sangen, auch noch als Video beim Tanzen zusehen konnte. Und die Jungs präsentierten sich beim Dartspielen oder noch stehend am Tresen. Und die Mädels tuschelten auf den Bänken an den Tischen so zu sich zu. Also alles war wie immer. Und alles noch fast normal, da noch keiner wirklich besoffen war.
Doch unser alter Paraver fühlte sich unwohl. Vielleicht weil er pissen musste? Also ging er auf die Toilette. Da fand er natürlich auf dem weiß gefliesten Absatz da über dem Klobecken eine weiße Staublinie, wie immer. Und er ließ sie liegen. Wie immer. Er zog so was nicht mehr, schließlich war er dafür auch die letzten Jahre im Knast gewesen. Weil er das Zeug verkaufte in rauen Mengen und dabei sein bester Kunde geworden war. So was fliegt irgendwann auf, wenn der Dealer sein bester Kunde ist, aber Butze wollte ja leben, wie er wollte, nicht, wie er sollte. Deshalb hatte er zu sich selbst kein schlechtes Gewissen.
Allerdings, als er da so stand und pisste und die Linie begutachtete, hörte er Geräusche vom Nachbarklo, die klangen, als machten es sich da gerade zwei Menschen schön. Erst die Frau im Stöhnen und dann beide im Duett. Da ging es also ganz schön zur Sache. Koks machte ja auch geil. Und diese Geilheit musste ja irgendwohin. Das verstand der alte Butze, weil er das von sich auch kannte. Also war auch das wie immer. Und es war auch besser, sich die Geschlechter zu befrieden, als sich zu prügeln.
Doch als er rausging und in die Bar zurückschlurfte, sah er die beiden aus der Toilette kommen und grinste, weil er die Frau kannte und sich wunderte, warum der Typ daneben so anders aussah als der Letzte letzte Woche.
War da dieses gewisse ungewisse Andere des Abends? Das wollte Butze rauskriegen, weil der Typ von letzter Woche auch da und zudem ein Kumpel von ihm war. Jünger, klar, so Mitte 30 war der Typ und die Olle so Mitte 20, aber man weiß ja nie. Doch Bernde wollte den Spaß und ging raus auf die Terrasse des OLYMP zur Berliner Straße in den lauen Sommerabend und setzte sich neben seinen Kumpan. Früher ein guter Kunde. Mal sehen, ob der heute einen Spaß verstand. Einen Butzespaß natürlich, also einen derben.
„Hey, Butze, alter Paraver!“ So wurde er begrüßt. „Setz dir! Bist ja noch nüchtern. Willste een Bier?“
„Klar.“ Und Butze setzte sich und zu folgendem Dialog an: „Icke nehm wie immer een Pilsener. Sterni haben die ja immer noch nich. Aber, Alter, wat icke dir fragen wollte. Wat issn mit deine Ollen los? Die hat grade offm Klo mit nem andern Schwanz gestöhnt. Is wo nich mehr deine Olle?“
„Watten für ne Olle, Alter. Siehste hier eene?“
„Na, die von letzte Woche da, die Kleene mit dem kleenen geilen Arsch. Isse nich mehr deine?“
„Ach, die, Alter. Nee. Wenn mit mir nich gefickt wird, wie icke ficken will, denn is det nich mehr meine Olle.“
„Det is ma een Wort, Digger. Un, biste jeze traurich, oder wat? Brauchste wen zum Reden?“
„Wat, Alter, icke un traurich un reden! Nee, bin froh, det icke die los bin. Hier, Alter, hier is een Bier für dir un een Kurzer.“
„Wie bei dem andern Kerl inne Hose, wat!“
„Jenau, Alter, du passt inne Welt. Un weg den Scheiß.“
Butze trank und grüßte die Jungs noch und ging wieder in die Bar rein. Das war also auch wie immer. Doch als er sich setzte und sich das alles wieder ansah, was er da in der Bar sah, die besoffenen zugedröhnten jungen Menschen mit den großen runden Augen beim glotzenden Stieren auf das Krakeelen da aus dem Fernseher, da hatte er wieder das Gefühl, dass etwas anders war als sonst. Aber was war das nur, verdammter Mist!
Weiter konnte unser Freund aber nicht in seine Ungewissheit hineinfühlen, weil neben ihm eine Bierflasche auf den Boden fiel. Und krach und bum, war die kaputt. Der Typ aber, so grade 20 Jahre alt, der die hatte fallenlassen, ging einfach weiter und scherte sich nen Dreck darum. Und als die kleine Hübsche da von hinterm Tresen kam und den Mist wegmachen wollte, da stand der Butze auf und sagte brummig: „Moment, Mäuschen, du nich.“
Und Bernd Uhlig sah zu dem jungen Kerl, der schon wieder am Dart stand und dort lachte und ne neue Flasche Bier in der Hand hatte, und rief zu ihm wirklich laut, weil die Musik ja so laut war: „Hey, Junge, mach ma dein Dreck da weg!“
Der Kerl aber glotzte nur blöde zurück: „Machs doch selber, alter Sack!“
Butze traute seinen Ohren nicht. Was hatte der kleine Piepel da gesagt und dabei gegrinst?
Und weil jeder hier wusste, wer der Bernd Uhlig war, war da plötzlich Stille. Nur die Musik grölte noch aus dem Fernseher, aber die schien niemand mehr zu hören. Interessanter war, was sich hier zwischen Alt und Jung entspann.
Butze stand auf und ging auf den Jungen zu. Nun ist unser alter Paraver nicht sehr groß und wirkt auch was schmächtig. Er hat die 175 Zentimeter wohl erreicht, aber an Muskulatur ist da nicht viel. Ein kleiner pyknischer Bauch ist nach vorn gewachsen, aber nicht wegen der Muskeln dahinter. Dennoch, als alter Knacki mit alten blassen, weil zu Ostzeiten schon teilweise nur in Ostknastqualität gestochenen Tätowierungen bis zur Stirn war ihm anzusehen, dass nicht zu spaßen war mit ihm. Klein, alt, erfahren, zäh.
Der Junge aber, angetrunken und pubertär, baute sich vor Butze auf: „Wat haste denn, du kleener alter Sack; willste mir Angst machen, oder wat!“
Und alle andern freuten sich schon auf diesen Film.
Doch Butze war kein Kerl der Angst, sondern der Taten. Blitzschnell packte er eine Hand des Jungen, dreht die mit dem Arm komplett auf dessen Rücken und drückte ihn so in die Vorlage und schnappte sich mit der andern Hand seine Haare und zog so den Kopf, das Gesicht nach oben und sagte, in gutem Hochdeutsch immerhin, was er stets benutzte, wenn ihm eben nicht zum Spaßen zumute war. Er sagte also in das schmerzverzerrte Gesicht des Jungen hinein, so von oben herab: „Weil du kleiner Wicht keinen Respekt hast, solltest du jetzt Angst vor mir haben, klar! Du machst deinen Dreck weg und gibst der kleinen Hübschen da ihr Lieblingsgetränk aus, das war irgendwas mit Sekt, glaube ich, und dann benimmst du dich. Zumindest so lange ich noch hier bin. Du verstehst doch Deutsch, oder?“
Gleichzeitig, in Butzes Rücken, war noch etwas geschehen. Ein paar Freunde des Jungen waren aufgestanden, als Butze ihn schnappte, und wollten ihrem Kumpel helfen. Da waren aber noch drei andere Jungs, die schon fast wie Männer aussahen und den Butze besser und länger kannten, an einem andern Tisch auch aufgestanden und hatten die Freunde des ungehobelten, respektlosen Verursachers unserer kleinen Rangelei angelächelt, und damit war die Unterstützung gebrochen.
Und der Junge, als er wieder den Kopf frei bewegen konnte, hatte genickt, sich Schaufel und Besen genommen und die Scherben weggemacht. Und der kleinen Hübschen hinterm Tresen hatte er dann ihren Sekt bezahlt. Und die hatte dem Butze zugelächelt und zugezwinkert mit den langen Wimpern.
Gleichzeitig begannen die lauten Gespräche wieder und die Musik grölte dazu und alle soffen, was sie gerade zum Saufen hatten, und alles war wieder wie immer. Nur in unserm alten Paraver nicht. Allmählich ging ihm auf, was an diesem Abend anders war. Sein Gefühl zur Freiheit seines Willens im Gegensatz zur Freiheit seines Wollens. Da war etwas Fremdes an diesem Abend. Und wenig später offenbarte es sich mit aller Wucht.
Denn mit dem Alkohol ist es wie mit einem Menschen. Er wird geliebt oder gehasst. Und da Lieben und Hassen zusammengehören, je nach dem Gewicht der Schuld oder Unschuld auf je einer Seite, kann ich mich von ihm nicht trennen. Eine Ehe oder das Zusammenleben mit einem Menschen aus Liebe wird zwar geschieden, wenn der Hass überwiegt. Ich lebe nicht mehr an seiner Seite, aber ich habe ihn noch in meiner Seele. Ebenso trennen mich die Schwäche meines Körpers oder mein schlechtes Gewissen nach durchsoffenen Tagen vom Alkohol, aber ich habe ihn noch in meiner Seele. Wie zu einer wahren Liebe, die Kraft und Schutz in einem ist, krieche ich bald wieder zum Stoff und suche Kraft und Schutz im Saufen. Beides schenkt mir der Schnaps bis zu einer bestimmten Konzentration im Blut. Dann kippt mein Gefühl zu ihm in Hilflosigkeit und Hass, weil ich spüre, dass er mir mehr nimmt, als er mir gibt. Ich krieche auf allen Vieren vor meinem Wunsch, die Abhängigkeit zu ihm zu besiegen. Ich werde zum Bettler an meiner Seele, die nicht mehr helfen kann, weil der Alkohol sie in seinen Fängen hat. Mein Hass gegen ihn wandelt sich in Aggressivität gegen andere Menschen, die jetzt daran schuld sind, dass ich saufe. Wie meine Eifersucht in verratener Liebe sich gegen den Menschen richtet, der Schuld daran hat, dass meine Liebe mich verraten hat. Ich übe Gewalt gegen Menschen, die keine Schuld an meiner Verzweiflung und meinem Saufen haben, weil jeder Mensch allein für sich Schuld trägt an dem, was er tut. Und was er nicht tut. Der Alkohol aber wie auch mein Gefühl, dass meine Liebe verraten worden sei, hindern mich daran, die Wirklichkeit auch wirklich zu sehen. Wie sie tatsächlich ist. Doch ich bin dafür verantwortlich, wie ich lebe. Ich habe in jedem Augenblick die Möglichkeit, mich zu entscheiden. Freiheit bedeutet, sich den Folgen meines Handelns bewusst zu sein. Nicht einfach tun, was ich will. Denn ich kann saufen oder nein sagen, weil ich weiß, was das Saufen aus mir macht. Abgesehen von den anderen Drogen, die heutzutage zusätzlich noch konsumiert werden zum Alkohol und die meine Unfreiheit noch verstärken, obwohl sie mir den Glauben schenken, dass es andersherum sei, dass sie mich frei und stark machten. Was sie allerdings nicht tun. Ganz das Gegenteilige sogar.
Aber sage ich das einem Besoffenen gegen Mitternacht vor einem Berliner Späti oder gar vor dem OLYMP, dann kann es passieren, dass er sich nicht dafür entscheidet, was ich meine, also einfach nachhause geht und seinen Rausch ausschläft, sondern dass er mir eine in die Fresse haut, weil er sich provoziert fühlt. Denn Wahrheit provoziert; da hat er recht. Und das kommt zu unserer erzählten nächtlichen Tageszeit unter kaputten Seelen ziemlich häufig vor, dass sie sich missverstehen. Dieses Mal erwischt es eine Frau. Wir nennen sie Paula oder Renate oder Ilona oder Karla oder Annett oder wie auch immer. Sie lag gegen Mitternacht vor der Terrasse des Späti neben dem OLYMP, hatte gekotzt, konnte aber nicht mehr aufstehen, weil sie seit Nachmittag zu viel gesoffen hatte. Das störte natürlich zwei Männer oben auf den Terassenstühlen, die auf sie niederbrüllten und sie damit verjagen wollten. Unsere Betrunkene aber konnte nicht mehr aufstehen, so voll war sie, und lag weiter in ihrer Kotze.
Butze saß gerade nebenan auf der Terrasse des OLYMP und fragte sich, ob er der Frau helfen sollte. Nein, spürte er, selbst wenn er wirklich wollte, denn das konnte er nicht mehr, weil er auch schon zu besoffen war. Also sah er weiter zu.
Und als die beiden lauten Trunkenbolde vor dem Späti aufstanden und zu der Frau gingen und sie aufhoben, um sie wegzuschleifen, wer weiß wohin, standen auch zwei Typen vor dem OLYMP auf und rissen den ersten beiden die besoffene Frau aus den Händen.
„Lasst die Alte in Ruhe, ihr Arschlöcher!“
„Dann fick du sie doch!“
„Die kotzt dir auf den Schwanz, wenn du ihn reinsteckst.“
„Willst du eine aufs Maul, oder was!“
„Wegen der Fotze prügel ich mich nicht.“
„Aber du hast Arschloch zu mir gesagt!“
Und schon flogen die Fäuste und unsere Betrunkene fiel wieder auf ihre Nase. Und die andern, die jetzt noch vor dem Späti und dem OLYMP saßen oder standen, sahen sich die Sache wie einen Film im Kino an. Bis einer der Schläger in der Frauenkotze ausrutschte und alle Viere plötzlich auf einem Haufen lagen, als wollten sie sich lieben. Da durchschnitt ein zuckendes Blaulicht inklusive einem scharfen Alarmton die Idylle vor beiden Läden. Irgendein Bewohner des Hauses hatte die Bullen gerufen. Die rückten in zwei Streifenwagen an. Die kannten beide Kneipen schon. Aber man konnte ja nicht jede Kneipe schließen, vor der sich Idioten prügelten.
Die Beamten sahen also die Scheiße, rümpften die Nasen und räumten dennoch auf. Auch ein Krankenwagen fuhr vor. Die Sanitäter sammelten als erstes die betrunkene Frau ein, kontrollierten Puls und Kreislauf, erkannten schnell, dass sie nur schlief im Vollrausch, schoben sie dennoch in ihren Wagen, um sie zum Beobachten mitzunehmen. Die vier Schläger waren derweil von den Beamten auseinandergestellt worden und hatten Kotze an den Klamotten und blutige Nasen. Bei einem lief da so viel Soße raus, dass ein zweiter Sanitätswagen anrücken musste. Während dessen nahmen die Beamten die Personalien auf. Dabei wurden sie vom Grölen und Johlen auf beiden Terrasse unterhalten, bis es ihnen reichte. Sie riefen noch zwei Streifenwagen und als die auftauchten, war Ruhe und die Zuständigkeiten konnten ihre Arbeit erledigen.
Und unser Butze hatte das alles gesehen und spürte, dass dieser Abend, diese Nacht eine entscheidende seines Lebens geworden war, und wollte darauf noch einen trinken. Er stand auf und ging in den OLYMP. Da sah er etwas, was ihm schlagartig bewusst machte, warum dieser Abend, diese Nacht, dieser Tag so bedeutsam für ihn war. Und was heute tatsächlich anders war als sonst.
Er kam in die Bar und sah, wie ein junger Kerl, vielleicht Ende 20, seinen Schwanz ausgepackt und auf den Tisch vor die Nasen der drei jungen Weiber an seinem Tisch gelegt hatte.
Jetzt war unserem alten Paraver, unserem Bernd Uhlig, plötzlich alles klar. So konnte das nicht weitergehen. Und er sagte sich: Ich bin zu alt für diese Scheiße.
Er stand da, blickte sich um und sagte zu allen, die noch da waren und egal, ob sie ihn hörten oder nicht, oder ob sie ihn hören wollten oder nicht. Er sagte zu allen, auf hohem Deutsch: „Tschüss! Ihr alten Paraver! So jung wie heute kommen wir nie wieder zusammen. Und jetzt leckt mich alle mal am Arsch! Basta. Ende. Schnauze.“
Denn die Sache mit dem Überfall einer Sparkasse hatte plötzlich eindeutige Formen angenommen. Er wusste, als habe er schon seit drei Wochen darüber nachgedacht, seit er das erste Mal davon gesprochen hatte zum Kumpel Klaus, was er tun musste. Und er wusste mit aller inneren Überzeugung, warum er das tun musste.
Doch ein Problem war noch. Eine Knarre musste her. Eine Uzi natürlich, weil die so praktisch war, so klein, wie ein Spielzeug, und in seinen Baumwollbeutel passte, in so einen wie aus jedem Supermarkt, kennen wir doch.
Aber woher die bekommen? Keine wirkliche Frage. Von seinem Kumpel, der immer was in seinem Regal zu liegen hatte. Dem alten Pankow-Bullen Chronos. Der personifizierten Zeit. Denn der Typ hat einen Klumpfuß an Erfahrung an seinem Leib und ebenso schwer auf seinem Buckel. Und einen großen Teil davon hat er mit unserm Butze erlebt. Das schweißt zusammen. Da ist was gewachsen zwischen beiden, was zusammengehört. Und dass unser alter Paraver immer die Klappe gehalten hatte, wenn er den Zuständigkeiten des Gesetzes die Namen seiner Kumpane verraten sollte, hat die Bande zwischen beiden umso fester geschmiedet.
Also hatte sich Butze vor dem OLYMP den Klaus geschnappt, war aufgesessen und zu seinem Freund geradelt, zu Wolfgang Schulze (Name ist natürlich geändert). Und obwohl es schon so spät oder eben schon so früh in der Nacht war, konnte der nicht anders, wie er uns auf Anfrage bestätigen musste, als dem Butze die Tür zu öffnen und ihm zu geben, was der wollte. Hier seine Antwort auf unsere Frage, ob das mit dem Butze und der Uzi klar ging:
Ja, der Butze, ja, der is da bei mir uffjetaucht un hat jefracht, ob icke wat für ihn habe. Watten, hab icke den jefracht. Na, wat wohl, hat der jesacht, ne Uzi natürlich. Un die hab icke och für ihn jehabt. Ick kenn den doch schon seit Jahren. Immer, wenn der im Knast is, denn is bei mir och so wat von unjemütlich im Koppe. Nich, weil icke den gernhabe, nee, dafür reiche icke mir aus. Aber es könnte ja sein, det mir ma die Bulln die Türe von meene Bude uffmachen un mir mitnehm, weil eener meener Kunden da nich die Fresse halten konnte, da vor dem Jericht oder im Knast. Nee, der Butze hat sowat nie jemacht, nee, der nich, aber du weeßt ja, det irjendwann jede Ma det erste Ma is … un wenn eener im Alter nich mehr so loofen kann, wie er det will, denn is det janze noch beschissner, da kann eener nämlich nich mehr abhaun vor die Bulln, und vor die verfluchten Weeber och nich mehr, ja, da weeß eener, dasset bald am Ende is det Leben, meene icke. Ja, wenn de nich mehr loofen kannst, dann is det janz schön beschissen mit det scheiß Leben. Da haste dir Jahrzehnte uff den Buckel jelebt un nu kriegste die nich mehr runter. Im Gejenteil. Die drücken dir mit Jewalt die Stirn uffn Boden, damit du deene Nase da unten in Hundescheiße stecken musst. So is dette. Da tun dir alle Knochen weh. Un nich nur die. Det Jehirne och noch. Hast über Jahrzehnte jedacht, dassde wat jedacht hast, wie det Leben sein soll odar nich odar wie es is odar nich is un denn isset doch janz anders un nur noch Hundescheiße. Un nu, wo de fast 70 bist, da zeicht dir det Leben, wasset von dir hält. Nämlich jarnischt. Es kotzt dir aus un spuckt dir off de Erde, damit de deine Nase durch Hundescheiße ziehen musst. So is dette. Und et scheiß Koks, watte hier nu zu koofen kriegst, is och nich viel besser. Un von die Weiber wolln wir jar nich erst anfangen. Da kannste gleich mit uffhörn, du, det eene sag ich dir dafür. Die kannste alle durch de Spree ziehen un hinterher sehn die alle gleich aus, egal ob se dünn odar normal odar dick sin – durch det Wasser un alle zeigen, dasse alle gleich sind. Hab icke doch erlebt. Da haste mal eene, wo de denkst, Mensch, Alter, denkste dir, det is ja een verdammt geilet Luder. Det hattet faustdicke hintar die Ohrn un zwischen die Schenkel un so ganz tief drinne och noch. Und wat für Ohrn da als Busen och noch, nee, Alter. Da kann dir nischt passiern. Un du jibst allet. Du jibst eenfach allet. Un du jibst nich nur eenfach allet, sondern eenfach allte, watte hast. Ob es deine Kohle is odar deine Arbeit odar deine Kraft odar dein Saft odar dein bescheuerdet Herze oder eben dein letztet Hemde. Allet jibste der Olln, nur damitte nich alleene bist un och ma in se rinmachen kannst. Un die Titten anfassen, Alter, ick liebe Titten. Un det se dir ma een bläst, Alter, ick liebe, wenn mir eene een bläst, Alter. Abar wat kriegste dafür? Na ja, du weeßt dette ja. Du warst ja och ma verheiratet. Da kriegste eenfach nischt wieder … nur ne kalte Schulter un kalte Ochen un kalte Lippen und et wars dann, weil du nüscht mehr hast, weil die Olle allet von dir hat … nee, halt, dette stimmt nich. Da kriegste ne Ohrfeige un nen Tritt innen Arsch unn wirst off de straße jeschmissen un kannst mit die Nase durch die Hundeseiße ziehn und det wars dann, weil de ihr allet jegehm hast un eben selber nischt mehr hast. So is dette mit dem Leben un mit die Frauen. Weil die Weiber ja det Leben sin. Also is dette det selbe. Weiber un Leben. Un nu? Wat mach icke nu? Lebe zwar noch, aber ohne een Weib. Abar, Alter, leb icke da noch odar nich mehr? Ick weeßet det nich. Ick wache morjens uff un quäle mir ausm Bette wie eene olle Schildkröte übern Sand, wennse ihre Eier verbuddelt hat, un mach mir nen starken Schwarzen un nehm eene Berliner Luft dazu un überlege, ob icke schon wach bin oder mir nur träume. Dann wirkt der Schnaps un erst dann kann icke sagen – jo, jeze, alter Sack, jeze biste wach, un nu? Wat soll ick nu machen? Na, Alter, da nehm ick mir meinen Tabak un dreh mir een paar von die Dinger un glotz dabei inne Glotze un seh mir die Magazine da an. Nee, Keule, nich sone Magazine zum Wegschleudern, ick meine die inne Glotze, die da am Vormittag immer komm, damit ick weeß, wat inne Welt so läuft. Un zum Mittag geh ick immer innen Späti un nehme mir mein Bier unnen Kräuter un mache erst ma Mittach. So is dette. Un wenn icke nich mehr kann, so offn Mitten am Nachmittag, da geh icke heim un ess zwee oder drei Stulln un pack mir ins Bette un glotze noch, bis meene Ochen zufalln. Det is mein Leben heute, so eenfach is dette. Un keene Weiber mehr. Da bin ick aus dem Alter da raus … hast jedacht, dass icke über meen Jeschäft plaudere, wat? Nee, da kannste warten, biste tot bist … aber dit mit dem Leben war natürlich ma anders. Da war ick ma richtich im Leben drinne un hatte nen Laden un och mit die Weiber hattet da noch funktioniert. So eine zu haben, meine ick, un och im Bette, dit mein icke och. Da hattet allet noch funktioniert. Weeß doch jeder. Haste wat, biste wat. Haste nischt, biste nich ma Hundescheiße uff de Straße wert. Na ja, es gibt da schonne een paar Kollegen, die sin ja sowat wie Freunde. Da gehört der Butze da och mit zu. Den kenn ick ja schonne, da warn wir noch zwee kleene Piepel, da haben wir noch unsern Popel jefressen un unsere Fürze anjezündet. Abar über meine andern Jeschäfte rede icke nich. Det kannste varjessen. Icke will nich innen Knast. Aber beim Butze, wenn der den Kanal voll hat, da isser ja immer so redselich un da kann ick den nich vertragen. Aber weil ick den kenne, wenner nüchtern is, also fast nüchtern wieder, da konnte ick dem das ja nich abschlagen, dem seine Bitte. Du weeßt doch. Wo du dein Buch da drüber pinselst. Da hab icke dem die Uzi besorgt und halte meene Fresse … abar jut, ick soll ja nich so ville palavern. Du willst det ja allet noch schreiben hier in deim buch. Och! Mann, Alter, wenn meen Been nich so schmerzen täte. Denn wär det Leben ja noch so lebenswert. Aber mit die ollen Klunker da unten dran, da tut det lofen weh, als hätt icke tachelang nich mehr jeschissen un hocke uffn Klo un drücke, det mir die Ochen rauskullern, weil da een Pfropfen drinne is, Alter, det tut richtich weh. Det scheiß Leben mit die olln Knochen, meene icke, wennde alt bist, eben. Is wie Hundescheiße, wennde nich mehr richtich krauchen kannst un nur noch alle paar Wochen eenen hochkriegst. Da liegste nur noch da un stinkst so vor dich hin in deene alten Langeweile. Un die einzigen Lebewesen, die dich besuchen, sin die Fliegen … aber, danke, Alter, dassde mir zujehört hast. Un jeze geh wieder den andern da uffn Senkel mit dem Jeschmiere da von dir un lass den Butze endlich seine Bank überfalln …
Und das machen wir jetzt auch. Wir gehen zurück zu jenem Punkt, an dem der Kleinkriminelle Bernd Uhlig, unser Butze, an diesem herrlichen Sommertag des Jahres 2019 in Berlin Pankow, genauer in der Heynstraße, seine Uzi geschnappt hat, nachdem er sich gewaschen und gebügelt und geschniegelt hat, ohne was zu saufen, denn er wollte ja auf Arbeit und da gibt es nur Profiqualität ohne Bier und andere Alkoholika. Er hat sich also das kleine Gewehr geschnappt, eingepackt und ist losmarschiert zur Prenzlauer Allee Ecke Danziger Straße. Den Klaus hat er dem Klaus zuhause gelassen. Das Fahrrad braucht er nicht für seinen Überfall, weil er ja nicht zurück in die Wohnung will. Er wird heute garantiert woanders schlafen und das kostenlos und da muss er dem Klaus sein Fahrrad hierlassen, aus alter Freundschaft. Versteht sich doch von selbst.
Und auserwählt für seine strafrechtlich absolut verfolgungswürdige Straftat hat sich der Butze die Sparkasse im Herzen des Prenzlauer Bergs, weil er da als kleiner Piepel schon sein erstes Konto hatte. Denn wo alles beginnt, da soll auch alles enden.
Mit dem ersten Werkzeug seines Plans also, im Leinenbeutel wohlgemerkt nebst einem vollen Magazin in der Hosentasche auf Reserve, in der einen Hand und dem zweiten, einem alten Kuhfuß in der andern, steht er nun, noch vor dem Lunch des heutigen Tags, an der Prenzlauer Ecke Danziger vor der besagten Filiale der Berliner Sparkasse. Dabei ist er ganz unauffällig angezogen, sieht wie ein normaler Handwerker aus, den beachtet sowieso niemand, und auf eine Maske hat er auch verzichtet, weil die nicht zum Plan gehört. Er will sich nicht verstecken. Er will zeigen, dass er kein Feigling ist. Und unser kleiner Dieb steht da und wirkt wie bestellt, aber nicht abgeholt. Er hebt die Stirn und blickt an der Fassade hoch bis ganz nach oben, als wolle er den lieben Gott um Beistand bitten. Von da allerdings rauscht ihm nur Stille entgegen, weshalb er seine Augen wieder herunternimmt und sich ans Herzlein fasst und seinen Körper in den Laden schickt. Los, alter Paraver, denk an dein warmes Bett in Tegel und das Futter zur richtigen Zeit. Und kaum ist er drin, verkeilt der Bernd das alte schwere Brecheisen so zwischen den Griffen der Eingangstür, dass niemand mehr sie öffnen kann, zieht die Knarre aus dem Beutel, der leise zu Boden gleitet, ballert in die Luft und brüllt: „Ditte hier is een Überfall! Allet in die Ecke da, meene Brüder un Schwestern, awar tutti galoppi!“
Die Anwesenden, so genannte Kunden und Angestellte, heben natürlich erschrocken die Köpfe und haben, von einer Sekunde auf die andere, derart viel Schiss in der Hose, dass sie sich erst mal lieber nicht mehr bewegen. Da hat man doch volles Verständnis für. Wer rechnet schon damit, in seiner Bank, wo er mit schlechtem, gutem oder gar keinem Gewissen reingegangen ist wie immer, dass ihm dort ein durchgeknallter Spinner eine geladene Uzi vor die Birne hält und auch noch rumballert damit? Bernd Uhlig aber hat für diese, existenziell erschrockene Starre kein Mitleid und fühlt sich veräppelt. Wieso hört denn keener off mir? Die stehen da wie anjewurzelt und glotzen mir nur blöde an! Lachen die mir aus, oder wat? Euch werd ick mal wat zeijen! Und wieder ballert er in die Luft und brüllt: „Habt ihr dit Ohropax zu tief jezogen, odar wat! Hinsetzen, hab icke jesacht! Auf eure volljeschissnen Ärsche! Awar flotti paletti!“
Jetzt haben wirklich alle realisiert, dass sie in einem dicken Schinken stecken, der kurz vorm Räuchern ist. Ihnen ist der Deckenbeton in Splittern um die Nasen geflogen und da hat auch der letzte, der nur seine Kohle wollte, gespürt, dass hier echte blaue Bohnen durch die Luft fliegen. Aus tiefster Lebensfurcht, die ja verständlich ist in so einem Moment, rotten sich die Menschen schnell zu einem Haufen voller Sicherheitsbedürfnis zusammen und setzen sich in
einer Ecke, die der Bernd ihnen mit der handlichen Flinte zeigt, auf ihre vier Buchstaben. Und bei der Angst, die jede Geisel hat, würde niemand die Nase rümpfen, wenn es in ihrer Mitte begänne, nach frischem Urin zu duften. Oder nach noch mehr Fäkalität. Dafür hätte dieses Mal auch der Bernd echtes Mitgefühl. Der kennt das ja zur Genüge.
Doch welcher Idiot überfällt an einem so schönen Sommertag eine moderne Filiale der Berliner Sparkasse an der Prenzlauer Allee Ecke Danziger Straße, ballert um sich rum und steht dann nur da und tut nichts? Worauf wartet der? Will der nicht mal langsam anfangen mit dem Bankräubern?
Unser Butze aber weiß genau, worauf er wartet. Auf die Maschine, die schon in Gang gesetzt ist. Ein Angestellter hat nämlich den stillen Alarmknopf gedrückt. Das hat der Bernd gesehen und so gewollt. Er geht weder verkrampft noch zu locker vor den ängstlichen Menschen auf und ab und hält die Uzi hoch. Doch mehr macht er nicht. Und mehr sagt er auch nicht. Nur ab und an wirft er einen Blick durch das Schaufenster auf die Straße.
Eine sehr bewegte Kreuzung ist das. Autos stürmen mal laut, mal leise, mal radikal, mal verschmust über den Asphalt, bis das rote Licht der Ampeln sie zum Halten zwingt und die Querläufer beginnen, es ihren Vorgängern nachzumachen, jeder in die Richtung, in die er nun mal gelenkt wird. Und das kann jeder noch, innerhalb der Vorgaben der Lichtsignalanlage, weil da noch nichts gesperrt ist. Dazu schiebt sich auch eine Straßenbahn gelb und schwarz und schwer beladen vorbei. Ihr Quietschen deutet an, dass sie in der Kurve liegt. Alles scheint wie immer, außer, dass keiner mehr in die Sparkasse kommt. Der Trick mit dem alten Kuhfuß hält und Bernd sieht einige, die vielleicht gern, vielleicht auch eher ungern hier reinwollen, dann aber mit erst ungläubigen, kurz darauf mit überraschten, dann angstvollen Blicken und wehenden Armen wieder davonstürmen.
„Überfall! Überfall!“ brüllen sie in die Welt hinaus als Mitteilung, obwohl es eine Weile dauert, bis die Welt es ihnen abnimmt. Und plötzlich, man glaubt es kaum, huscht über das runde glatte alttätowierte Paravergesicht des Bernde Uhlig tatsächlich ein zufriedenes Lächeln. Der alte Butze sieht der Straße an, dass Stufe Zwei gezündet hat.
Wie ein Mensch es schafft, allein, wenn er in die Luft ballert, ein halbes Stadtviertel lahmzulegen, ist enorm und spannend anzusehen. Wie bei Ebbe das Wasser ziehen sich die bewegten Fahrzeuge und Menschen langsam zurück. Der Verkehrsstrom dünnt aus. Kein Auto fährt bald mehr an der Filiale dran vorbei, auch kein Rad wird mehr von seinem Besitzer vorbeibewegt. Die Straßenbahnfahrer fluchen schon auf den blöden Bankräuber, der mit seinem Plan den ihren über den Haufen wirft. Denn die Sperrungen durch die herbeigerufenen Insassen von so genannten Streifenwagen der Berliner Polizei greifen allmählich.
Und die Menschen staunen erst – was ist denn los? Dann antworten sie – ein Banküberfall, da vorne! Inne Sparkasse! Dann lachen sie – ach nee, da wird ein Film gedreht, mehr is da nich. Nein, nein, erfahren sie kurz darauf – da ist wirklich einer mit ner Knarre drin. Nun bleiben einige stehen und gaffen, andere fluchen, weil sich was in ihre normale Welt geschoben hat, was da nicht wirklich normalerweise hingehört. Und die Dummen, wie gesagt, die jeden Dreck wegmachen müssen, stehen schon dazwischen. Das sind die Beamten der Berliner Polizei, die alles regeln sollen. Die Neugier und den Frust. Ein toller Job. Nicht jeder würde den machen. Ganz sicher nicht jeder. Vor allem nicht heute, nicht hier, an der Kreuzung Prenzlauer Allee Ecke Danziger Straße, wo das Chaos seinen Weg ins neue Gleichgewicht sucht. Und bald, das lässt sich nicht vermeiden, zieht es sich bis zum Alexanderplatz hinunter und rüber in Richtung Landsberger Allee und auf der andern Seite zur Bernauer Straße hin, und nach Norden reichen die genervten Stauwasser schon bis zur Ostseestraße und Wisbyrer und bis hoch in die Prenzlauer Promenade hinein. Und so hat sich das Chaos aller Existenz in der Freiheit eines Menschen offenbart. Ein gewisser Bernd Uhlig, der fast mehr Lebensjahre im Knast als auf der Straße verbracht hat, schiebt sich in den Fokus einer Millionenenklave. Und das mit Absicht. Mit seinem freien Willen und allein durch wenige Schüsse aus seinem Gewehr, das wie ein Spielzeug mutet, aber eine echte Uzi ist. Das ist tatsächlich unglaublich. Und berühmt ist er auch schon. Von der Polizei sind die ortsüblichen Radiosender über die Bildung der Staudämme informiert und die senden schon über unsern alten Paraver und seine Tat, was die Sendemaschinen so hergeben. Der Verkehr muss ja umgeleitet werden wegen der polizeilichen Maßnahmen auf Grund eines schwerverbrecherischen Vorfalls im Herzen des Prenzlauer Bergs. Bitte großräumig umfahren. Und dieser eine Mann, der Uhlig, der Verbrecher, der steht gelassen in der Filiale und grinst.
Ick bin ein Sieger, gratuliert sich der kleine Gauner. Mama, ick jewinne.
30 Minuten später. Draußen ist alles okay. Das spezielle Einsatzkommando der Berliner Sicherheitsorgane ist in Stellung. Alle Fluchtwege sind durch die Kollegen dichte gemacht worden; durch Gaffer und Blechgehäuse sind die das sowieso schon gewesen. Und die Dächer werden von Scharfschützen bewacht. Was hat der Typ da drin denn vor? Der muss ja irre sein. Der kommt doch nie wieder raus aus dem Loch. Den schießen wir zusammen wie auf dem Rummel die blöden Plasteblumen. Diese Worte gehen Polizeihauptkommissar Hübner durch den schweißnassen Schädel. Er hat die Einsatzleitung übernommen und sich hinter einem Streifenwagen verschanzt. Der erfahrene PHK der Berliner Polizei ist ein Mann um die 50, und der gesteigerte Frust über die stetig wachsende Zahl von Vorschriften, die es erschweren, auf einen solchen Vorfall einfach mit aller Feuerkraft zu reagieren, zeigt sich eindeutig im gesteigerten Umfang seines Bauches. Anstatt mit diesen Kriminellen umzuspringen wie mit Hunden, die nicht hören wollen, müssen die Beamten immer mehr Samthandschuhe anziehen, um die Unbelehrbaren nicht zu verletzen, vor allem nicht an deren zarter Psyche. Und das Ende vom gefrusteten Lied der demokratischen Verbrecherjagd zeigt sich einerseits in diesem Blödmann, der einfach an eine scharfe Waffe kommt, um in einer Filiale der Berliner Sparkasse sowie dem gesamten Stadtbezirk für Unruhe zu sorgen, und andererseits zumindest bei Hübners Körperfülle deutlich. Das blaue Uniformhemd spannt sich derart über den Nabel hinweg, dass der Knopf dort droht, seinen Halt zu zerreißen und im hohen Bogen davonzufliegen, würde der Mann es wagen, zu tief einzuatmen. Weiß doch jeder Verhaltensforscher oder, auf Menschen bezogen, Psychologe. Lebewesen, deren gesunde Empfindungsschwelle für Mängel und Entbehrungen überschritten ist, fressen alles in sich hinein, was sie glauben, dass es ihnen fehlt. Ob es feste Nahrung ist oder psychische Kränkungen. Meistens eben beides zusammen. Kurz – wer viel Frust, der viel frisst. Unangenehme Folge davon beim PHK hier ist auch – der arme Mann ist völlig durchnässt. Nichts hasst er bei der Arbeit mehr als dieses verdammte Schwitzen. Das dauert bei ihm nicht lange, bis das Gewebewasser aus seinen Poren schießt. Bei diesen Außentemperaturen reichen wenige Bewegungen aus. Hinzu kommt heute noch das gesteigerte Adrenalin in seinem Blut, an dem dieser Penner von Bankräuber die Schuld trägt.
Hübner ist also absolut schlechter Laune. Er wischt sich mit einem Papiertaschentuch die Stirn trocken und nimmt die Flüstertüte zur Hand, die ihm ein junger Polizeimeister hinhält. „Da scheiß ich auf die Dienstvorschriften.“ Hübner spuckt aus und spricht eher mit sich selbst als mit dem jungen Streifenpolizisten an seiner Seite. „Am liebsten würde ich den Laden stürmen und den Kerl erledigen lassen. Aber ich darf ja nicht. Ich soll mit dem noch reden, ihn zur Vernunft bringen. Als ob er mit dem, was er da angestellt hat, irgendeine Art und Weise von Einsicht in die Bedeutung des Wortes Vernunft gezeigt hätte. Dieser Idiot. Aber nein, ich soll noch seine liebe Mutti spielen. Verdammte Scheiße.“
Der Polizeihauptkommissar hebt das Megaphon, schaltet es ein und stellt auf volle Kraft. „Hallo! Sie da! In der Sparkasse!“, tönt es über die Straße. Und nach dem Lärm der Worte ist es plötzlich still. Nichts ist zu hören. Kein Laut. Kein Mensch gibt etwas von sich. Kein Motor brummt. Alle Augen der Umstehenden, ob nun Beamter oder Zivilist, sind auf Hübner gerichtet. Auch alle Münder stehen offen. Seine Worte sind ein scharfes „Achtung! Es geht los!“ gewesen in den Ohren der Anwesenden und haben vollkommene, rassig wahnsinnige Aufmerksamkeit gefordert. Bis auf jene eines kleinen waghalsigen Tieres, eines alten Spatzen. Der Vogel scheint taub und pfeift auf alles Schweigen, hockt in einer Linde am Straßenrand und kann einfach nicht den Schnabel halten, als gäbe es hier was zu feiern. Da läutet das Handy des jungen Beamten neben Hübner. Der geht dran und reicht es sofort an seinen Vorgesetzten weiter. „Wer ist das?“ Hübner wundert sich. „Die Leitstelle.“ Der junge Beamte blickt dienstbeflissen zum dicken Chef, also wie ein junger Hund, der um ein Leckerli bettelt. „Ja?“ Hübner hat das Handy am Ohr und verzieht kurz das Gesicht. „Ach nee, einen vollgetankten Wagen will er auch noch? Okay, dann stell mich mal durch zu dieser Pfeife!“ In der Filiale steht unser Butze vor seinen Geiseln und schwingt das Gewehr immer hin und her. Mit der freien Hand hält er ein Handy an sein Ohr und wird ernst, als er Hübners Stimme hört, richtig ernst. Das muss er ja sein. Er muss ja so tun, als sei das hier kein Spaß. Das ist sein Plan. „Jenau!“, zischt er in das Gerät. „Icke bins, Hübner, der jute Uhlich. Ick will een Fluchtfahrzeuch un nen Hubschrauber im Thälmannpark. Jenau, meen Großer, so is ditte mit die Sachlage hier. Un bei dir, meen Dicker? Noch allet fit im Schritt?“ Uhlig schielt zu seinen Geiseln und zwinkert ihnen zu. Ja, ist das gut oder schlecht? So ähnlich denken die armen Geschöpfe in ihrer Angst. Und – der ist doch vollkommen irre, total durchgeknallt im Kopf.
Hübner draußen, nun völlig durchschwitzt, hat in der einen Hand das warme Handy, das noch mit Bernds Ohr verbunden ist, stützt sich mit der andern ab, setzt sich auf den Asphalt und lehnt sich gegen das Blech des Streifenwagens. „Das darf nicht wahr sein“, stöhnt er. „Dieser Idiot von Uhlig ist da drin.“ Der junge Beamte neben ihm blickt ungläubig. „Keine Angst“, beruhigt Hübner nicht nur ihn, sondern auch sich. „Der ist harmlos. Der ist zwar strohdumm, aber harmlos. Na gut, mit so einer Knarre in der Hand, wer weiß, vielleicht hält der sich ja wirklich für Clint Eastwood. Jetzt brauchen wir nur noch Starsky und Hutch.“ Hübner nimmt mit der freien Hand sein mobiles Funkgerät. „Alle mal herhören, Leute! Da drinnen ist der Uhlig und ja, bevor alle lachen, der war bis vor kurzem noch in Tegel, ich weiß, aber ich bin nicht der Arsch von Psychiater, der sich von diesem Kerl hat was vorspielen lassen, auf die Art – sieh mal Papa, mir geht es gut und ich bin kern gesund – damit er wieder auf uns losgelassen wird, ich bin das nicht gewesen, klar! Also, wir warten noch eine Weile, bis er ungeduldig wird, dann rücken wir ein oder vielleicht kommt er von selber raus, weil er uns ja nur veralbern will, also alles mit der Ruhe, Jungs. Und lasst die arme Sau am Leben. Der kann nichts dafür, ehrlich. Der ist wirklich nur ein armer Schlucker.“ Doch Hübner hat bei seiner kurzen Ansprache nicht bedacht, dass Uhlig über die noch nicht geschlossene Telefonverbindung mithören kann. Und der ist nicht belustigt über das, was er gehört hat.
Die nehmen mir nich ernst. Dann werd ick mal. Ick kann och anders!
Und der Butze ballert nochmal in die Luft und brüllt ins Fon: „Wenn icke in zehn Minuten keen Fahrzeuch habe, Altar, dann knall ick hier drinne den ersten Typen hier ab! Is dit in deine schmalzverklebten Löffeln anjekomm!“
Hübner drückt Uhlig weg und schüttelt den Kopf. Selbst der unklügste Gauner hat heute kein Benehmen mehr. Keinen Respekt mehr vor der Polizei. Plötzlich aber verzieht sich sein dickes Gesicht wie durch einen starken Schmerz. „Oh nein.“ Seine Worte klingen so schwach, als bekäme er schlecht Luft. „Nicht die auch noch.“ Der junge Streifenpolizist macht sich ernsthaft Sorgen. „Was haben Sie, lieber Herr Hauptkommissar? Ist Ihnen nicht gut?“ „Geht schon, aber da kommt die Schwester von Dirty Harry.“ Mit der linken Hand, die zu zittern beginnt, zeigt Hübner in die Richtung, in die er seine Augen gerichtet hat. Und sein schmerzvoller Blick zeigt die Prenzlauer Allee hinunter, zwischen den Einsatzfahrzeugen und Staumobilen und dem Gaffervolk hindurch. Denn da kommt ein Mensch auf sie zu. Besser – eine Frau. Und was für eine. Vor der hauen nicht nur die Mücken ab, wenn sie mit ihrer dunkelblonden Mähne durch den lauen Abendwind zieht, auch Männer haben da Probleme. Und Hübner weiß, welche nun auf ihn zukommen. Sie ist Mitte Dreißig und ein verdammt hübsches Exemplar ihrer Art noch dazu. Schlank ist sie mit muskulösen Schenkeln an langen Stelzen. Das kann jeder sehen bei den engen Jeans, die sie trägt. Da bleiben die Kerle dort kleben, wo diese Beine in den Glutei Maximi ihren Anfang und ihr Ende finden. Darüber liegt eine weiße Leinenbluse, die ziemlich weit aufgeknöpft ist, damit das, was Lust hat, auch Platz zum Schwingen besitzt. Mit ihrem weiten runden Gang sammelt sie alle Blick der Männer auf und mancher Frau dazu, die angespannt und bildhaft erregt hier auf die Action warten. „Bitte, all ihr Polizeigötter!“ betet Hübner förmlich. „Womit habe ich das heute verdient? Was habe ich euch getan, dass ihr mir erst diesen blöden Uhlig schickt kurz vor Feierabend … und jetzt noch dieses Weib? Warum ich?“
Der unbedarfte Beamte neben ihm macht ein Gesicht, als wohne er gerade der Paarung zwischen einer Maus und einem Elefanten bei. Der kapiert hier nichts. „Sie kennen diese Frau noch nicht?“ Hübner wird fast väterlich. „Dann hören sie mal den Funk ab.“ Auf dem herrscht plötzlich reger Sprachverkehr. Alle witzeln durcheinander und die ersten Scharfschützen packen schon ihre Sachen ein und sind froh, heute nicht mehr schießen zu müssen. Die andern Beamten schließen Wetten ab, wie lange es dauert, ehe die Amazone den Uhlig an dessen Ohren aus der Sparkasse zieht. Und alle reiben sich ihre Gesichter auch vor Freude auf ein Schauspiel, das ihnen nur von dieser Kollegin geboten wird. Dafür liebt sie jeder Berliner Polizist. Na gut, die ganz da oben eher nicht.
Die Frau ist Kriminalkommissarin Derya Demir, eine der erfolgreichsten Beamtinnen im Berliner LKA 1, zuständig für Delikte am Menschen, zumindest was ihre Aufklärungsquote bei Straftaten betrifft. Ihre Gepflogenheiten dabei sind eher stets Anlass zu Vorladungen bei diversen zuständigen Staatsanwälten und höhergestellten Innensenatoren, vor allem auch, weil sie ihr Aufgabengebiet weiter fast, als es das LKA 1 eigentlich zu bearbeiten hat. Gelassen und selbstbewusst bleibt sie nun neben dem Streifenwagen, zu dessen Reifen und Schwellern PHK Hübner nach Atemluft ringt, stehen und blickt zur Sparkassenfiliale. Von Deckung hält sie nichts. Sie steht aufrecht. Sie will gesehen werden. „Was gibt’s, Hübner?“
„Nichts.“ Hübner versucht mit leiser Stimme Gelassenheit zu heucheln. „Ich habe alles im Griff, meine Liebe. Du kannst ruhig wieder gehen. Warum bist du eigentlich hier? Gibt es keinen Mord oder so was für dich? Ich meine, das hier ist doch nicht dein Ding, oder?“ Und das letzte Wort des PHK ist reine Unsicherheit gewürzt mit der Gewissheit, dass es so kommen wird, wie er es bereits ahnt. „Noch nicht.“ Derya blickt sich um. „Und wer ist da drin?“ „Uhlig.“ Der junge Beamte neben Hübner ist zu voreilig. Für die Bekanntgabe des Namens erntet er Blicke seines Vorgesetzten, die, wenn sie aus scharfen Messern bestünden, dem armen Jungen die Gesichtshaut zerschneiden würden. „So, so.“ Derya fasst sich ans Kinn. „Der alte Butze. Ist ja interessant. Seit wann ist unser Frührentner denn wieder draußen?“ Nun wirft sie ihre lockige dunkelblonde Haarpracht nach hinten, als posiere sie für eine Shampoowerbung. Oder so ein Haarlackspray auf die Art: „Berlin. 15 Uhr. Prenzlauer Berg. Direkte Sonne. Banküberfall. Die Frisur sitzt.“
„Seit ein paar Tagen.“ Hübner fällt ernüchtert in sich zusammen. Er weiß, dass die Sache hier für ihn gelaufen ist. Denn wo auch immer diese Demir auftaucht, nimmt sie die Zügel in die Hand und gibt sie nicht mehr her, koste es das Staatssäckel, was es wolle. Bei ihr zählt nur die Verhaftung, zu jedem Preis, außer natürlich den Täter zu töten. Dessen Überleben ist der Mittelpunkt all dessen, was Derya gerade durch den Kopf geht. Da ist es von Vorteil, ihn zu kennen. Obwohl man bei diesem Uhlig niemals weiß, was er wirklich vorhat.
Und auch unser Butze traut seinen Augen nicht. Das darf nich wahr sein?! Wat hab ick denn heute für ein Glück. Die Götter meinen es gut mit mir.
Denn durch das Erscheinen dieser Frau hat sein Plan die letzte Wendung zum Erfolg genommen. Sie ist quasi seine Lebensversicherung, ach, seine Garantie, dass alles klappt, wie er es will. Erleichtert senkt er die Waffe. Die Geiseln können dieses Schauspiel naturgemäß weder sich selbst noch dem jeweils Beteiligten neben sich erklären. Sie sehen sich an und heben die Schultern. Was geht da ab? Was ist da los? Erst ballert er rum und nun? Er senkt das Gewehr? Was ist den das für ein banmkräuber? Eine Schande für sein Gewerk.
Und unser Bernd dreht sich um, als sei es von einem Drehbuchautor und Regisseur wie vorgeschrieben, mit dem Körper zum großen Schaufenster dreht er sich, legt die Waffe vor seine Füße, fällt auf die Knie und hebt ergebenst die Hände, als wolle er in religiöser Demut erstarren. Die Geiseln sehen dem Treiben zu und blicken weiter ungläubig. Was hat das denn zu bedeuten?
Draußen spuckt Derya in den Rinnstein, setzt sich in den Streifenwagen, an dem Hübner lehnt, der sich sofort von dem Auto zurückzieht. Ein OPEL Zafira ist das, als Mitgliedsfahrzeug der Polizei mit Lack und Folie in Blau und Weiß und Lichtsignalanlage auf dem Dach auch so bekannt gemacht, neueste Bauart, sicher erst ein halbes Jahr oder so im Dienstgebrauch. Nun aber steht er vor seiner bisher größten Bewährungsprobe, und vielleicht auch seiner letzten.
Derya startet den Motor, will den ersten Gang einlegen, sieht dann aber, dass der Wagen eine Automatik hat, tritt auf die Bremse, legt den Gang auf das große D, zieht die Handbremse an, lässt das Bremspedal los und tritt volle Kanne aufs Gaspedal und löst ganz langsam die Handbremse und lässt das Gummi der Reifen quietschen. Das beginnt zwar erst ganz zaghaft, weil der Diesel ja ne Weile braucht, um auf Touren zu kommen. Aber jeder Gaul will vor den Schmerzen fliehen, die ihm eine Peitsche schenkt, auch eine unterstarkmotorisierte Automobilmaschine Typ Opel Zafira Automatik Diesel will das. Dann lässt die Frau die Bremse fliegen, gibt den Wagen völlig frei, und als öffne sich das Tor für einen Bullen unter ihr wie bei einem Rodeo springt der Diesel schmerzschreiend nach vorn, fegt eine Haube grauen Straßendreck über den PHK und seinen Adjutanten hinweg, hetzt auf das große Schaufenster zu, hinter dem einerseits Uhlig noch immer kniet mit erhobenen, waffenfreien Armen, und die Geiseln nun entsetzt auf die Straße starren, was da auf sie zustürzt in ungezähmter Hatz.
Und nach wenigen Sekunden und mit lautem Aufheulen schießt der OPEL durch die riesige Fensterfront. Sofort nach dem Durchprall tritt Derya voll auf die Klötzer. Der Wagen hüpft noch ein paar Mal rasch durch den Staub aus zerborstenem Stahl, Glas und Beton, und kommt kurz vor den freudetränenfeuchten Augen des Bernd Uhlig zum Halten.
Hübner draußen hebt sich auf, blickt zur kleinen Katastrophe, schüttelt den Dreck von sich ab, was eigentlich unmöglich ist, weil er ja so schwitzt und das Zeug an ihm klebt wie Schmeißfliegen auf einem Kuhfladen, nimmt den jungen Beamten am Arm und lässt sich zum Ort des Geschehens leiten. Seine Worte dabei sind einerseits voller Erleichterung, andererseits aber auch die blanke Resignation. „Warum hat sie nicht einfach die Tür genommen. Warum ist sie nicht einfach hingegangen, hat den Uhlig angegrinst, hat ihn gebeten, den Kuhfuß wegzunehmen und ihr die Türe zu öffnen. Warum nicht? Verstehe einer die Frauen. Wenn es nach ihrem Willen gehen muss, dann sind sie taub, blind und stumm gegen jeden gut gemeinten Einwand. Und Sie, junger Mann, bleiben Sie an meiner Seite. Ich will jetzt nicht allein sein.“
Der junge Streifenpolizist staunt Bauklötzer. Er kann nicht fassen, was er da gesehen hat. „Wie ist die denn drauf?“ Andere Worte findet er im Augenblick nicht.
„Die braucht mal einen richtigen Kerl“, faucht Hübner. „Da wo jedes Weib mal einen haben muss, ab und an. Aber sagen Sie das nie zu ihr. Sie würden dann das verlieren, was Sie zumindest per Geschlecht nach außen hin zu einem Mann macht.“
„Na ja“, erwidert der junge Uniformierte leise nach diesem Erlebnis. „Wer will das schon riskieren.“
Drinnen kniet Uhlig vor dem Zafira wie ein Gläubiger vor einem Altar oder einer Gotteserscheinung oder so. Derya steigt aus, geht zu ihm, drückt seine Arme nach unten, legt sie auf seinen Rücken und ihm Handschellen an. Dann hilft sie ihm aufzustehen. „Was sollte das denn, mein Guter.“ Ihr Tonfall klingt tatsächlich voller Milde, ja fast mütterlich. Und Butze lächelt glücklich und hat noch ein paar Worte übrig. Nicht viele, aber mit einem geduldigen, heiteren Klang. „Icke bin ja so froh, dass`de jekommen bist, meene Große. Der Hübner, ditte is doch een Idiot. Der hätte mir doch fast noch abjeknallt. Was abar nich schlümm jewesen wäre, wirklich nich. Nu abar kann ick noch een paar Tage atmen. Bring ma weg von diese Scheiße hier. Ick will weg aus Berlin. Ick will wieder nach Hause. Un zwar für ümmer.“ „War das so schrecklich unter uns hier draußen?“ „Dit kannste dir nich im Koppe maln, die janze Kacke hier. Un eene Kiste Sterni am Tag reicht nich aus, um sich normal zu fühlen. Die zwitschern alle nur noch falsch un von die Kohle un saufen un ficken un zocken un ziehen un saufen weiter un prügeln sich un ziehen Kokas un hauen sich Pillen rein un Pappen un un un, nee. Ditte is nüscht für den alten Bernd, wat hier so abfährt. Da jeh ick ville lieber in meene Zelle zurück. Zu meene Kumpels. Zu meene Freunde. Da is meen Zuhause. Da is meene Fämälie. Also, fühle dir jeknutscht, meene Große, un schick nen alten Mann zurück in sein warmet sattet Homeoffieze.“
„Das ist es also, was du heute wirklich wolltest, nicht wahr?“
Und seht euch das mal an. Der Uhlig verdrückt tatsächlich eine letzte Träne und liebkost mit Worten die Kommissarin weiter. „Du varstehst mar, Süße. Ick liebe dir so dolle, ehrlich. Un wenn`de ma wat brauchst, Schatzi, denn wees`te ja, wo`de mir finden kannst.“
Derya nickt leise. Und sie weiß jetzt noch nicht, dass sie den alten Paraver wirklich nochmal braucht. Und zwar in wenigen Tagen schon. Aber das ist eine andere Episode in unserm Buch. Jetzt geleiten erst einmal zwei Blauhemden unseren alten Butzen aus der Baustelle, die einmal eine gut funktionierende Filiale der Berliner Sparkasse im Prenzlauer Berg gewesen ist. Die Geiseln sind schmutzverschmiert aufgestanden und werden ebenfalls von Polizeibeamten ins Freie geführt. Hübner tritt zu Derya und hinter ihm folgt der junge Beamte mit gesenktem Kopf. „Helfen Sie den Kollegen da mal“, sagt Hübner zu ihm und der Streifenpolizist trollt sich rasch.
„War das nötig?“ Hübner steht hilflos neben Derya und weiß ja auch, dass er nichts mehr ändern kann. „Bloß gut, dass ich nicht dein Chef bin.“
Derya lächelt. Und das macht sie auf eine Art, dass Hübner ihr alles verzeiht. Sie hat dabei einen Ausdruck im Gesicht, als sei sie ein Mädchen von zehn Jahren, das ihren Vater um eine Kugel Eis bittet in einem Maße und mit traurigen Kulleraugen, dass es unbedingt diese Kugel saftigen Eises zum Überleben brauche. Der braune Teint ihrer Wangen und die dunklen Augen unter ihrer Löwenmähne dazu über dem belustigten, liebevollen Lächeln der prallen, schwachrosa farbenen Lippen – welcher Mann kann da schon nein sagen? Und ein Vater erst recht nicht.
Hübner blickt auf seine Armbanduhr. „Feierabend.“
Die beiden Berliner Beamten haken sich unter und bewegen sich über die Trümmer hinaus auf die Prenzlauer Allee. Das wäre geschafft. Ein krimineller Zwischenfall im Alltag der Hauptstadt ist voller Bedachtsamkeit und Umsicht der beteiligten Beamten zu einem guten Ende geführt worden. Das bedeutet – körperliche Verletzungen sind nicht zu verzeichnen. Was aber noch viel wichtiger ist, dass es keine Toten zu beklagen gibt. Nur der Dreck muss noch weggeräumt werden. Doch dafür sind die andern zuständig.
Und als die beiden auf die Straße kommen, sticht ihnen die Sonne ins Gesicht. Eine staubige Wolke liegt noch in der Luft. Und fast schneller noch als von der sandigen Atmosphäre sind sie von Pressemenschen umringt. Einige Frauen und Männer pirschen sich mit Filmaufnahmegeräten und Mikrophonen in Deryas und Hübners Nähe und bombardieren sie mit Fragen. Die beiden aber schieben sie zur Seite und lächeln sie nur schweigsam an.
„Warte kurz.“ Derya lässt den Hübner los und geht zum Butze, der in einem weiß grünen Zafira mit Lichtsignalanlage auf dem Dach schon auf dem Rücksitz Platz genommen hat.
„Jetzt, mein Lieber, hast du deine Rente sicher.“ Derya lächelt unsern alten Paraver an.
„Jenau, meene Hübsche. Absolut. Un det Begräbnis och. Wat soll so een alter Kerl wie icke machen? Ohne Jören. Ohne richtische Fämälie. Ohne een Menschen, der von meenem Blute is? So sin meene Kumpels ausm Knast zumindest an meenem Grab, oder?“
Derya lächelt ihn an und geht zum Hübner zurück.
„Weeste wat, meen Dicker!“ Sie nimmt wieder den Arm des schwitzenden PHK. „Da gibt es eine nette Kneipe in zwei Straßenecken.“ Derya nickt kurz in die Richtung, in die sie gehen will. Die Prenzlauer Alle runter zur Mitte der Stadt. „ÜBERECK heißt die und geht auch über die Straßenecke zur Christburger rein. Da kann man auch rauchen beim Trinken, also drinnen, meine ich, hier draußen ist es mir zu heiß. Dir nicht auch?“ „Klar, und viel zu trocken. Det erste Glas jeht off mir.““
Die Kommissarin lächelt wohlwollend in Hübners feuchtes Gesicht und küsst ihn ohne Scham auf die Wange. „Den Papierkram erledigen wir morgen.“ „Und dann werden wir erledigt.“ „Aber vorher haben wir noch eine Verabredung.“ „Mit Onkel Jäck.“ „Mit wem denn sonst.“ Der PHK zieht ein breites Gesicht der Zufriedenheit über sein rundes Speckgesicht. So hat die Angst wegen des Einsatzes in Verbindung mit dieser Frau noch etwas Gutes. Er würde einen angenehmen Abend haben, bevor der Dienststellenleiter ihn morgen auseinandernehmen würde.
Und unser Bernd Uhlig? Unser alter Paraver? Wir fragen ihn: „Na, Butze, war es das wert?“
Er sitzt in einem Streifenwagen auf dem Weg zur Gefangenensammmelstelle, kurz GeSa genannt, und grinst uns an: „Natürlich, ihr alten Paraver. Jeze hab icke allet, wat ick brauche. Een Dach überm Kopf. Wat zu Futtern. Un keene Idioten mehr jeden Tag um mir rum. Basta. Ende. Schnauze. Un … ach, leckt mir alle mal am Arsch. Wer nur lebt, wie er soll, der stirbt och nich, wie er will.“
Die angestauten Blechkörper und Menschen um die Stelle der gefährlichen Straftat mit Geiselnahme im Prenzlauer Berg, genauer an der Ecke Prenzlauer Alle Danziger Straße herum, werden allerdings noch eine Weile brauchen, um sich in Ruhe trollen zu können, weil da einfach zu viele auf einem Haufen sind. Und das an einem so herrlichen lauen und warmen Sommerabend des Jahres 2019 in Berlin.